#6 Heddal – Preikestolen – Bergen

Quer durch Südnorwegen



Heddal – Seljord – Preikestolen – Lofthus – Haukeland/Bergen (918 km)
17.–22.7.2017




Von Oslo aus geht es mit etwas Verspätung los. Denn in einer VW-Werkstatt lasse ich sicherheitshalber den Getriebeölstand prüfen.

Vor ein paar Wochen hat da was gefehlt, aber niemand fand eine genaue Erklärung, warum. Darum einfach mal einen Blick draufwerfen lassen – und das Ergebnis beruhigt, bislang alles OK. So kann’s weitergehen!

In Heddal legen wir einen Stopp ein: hier steht Norwegens größte Stabkirche (Stavkirke). Aufgrund ihrer beeindruckenden Ausmaße wird sie auch eine „gotische Kathedrale in Holz“ genannt. Erbaut wurde sie im 12. und 13. Jahrhundert, drei Stockwerke hoch.











Wir kreuzen Morgedal, wo das Norsk Skieventyr, ein Skimuseum, steht. Hier in Morgedal erfand der Webstuhlbauer Sondre Norheim Mitte des 19. Jahrhunderts die Fersenskibindung, dachte sich immer neue Skivarianten aus – und erfand letztendlich den Fahrstil, der den Namen dieser Provinz trägt: Telemark. Reich ist er damit nie geworden, er starb verarmt 1897 in den USA. Als Skigebiet spielt Morgedal auch keine Rolle, wir haben einen kleinen Schlepplift entdeckt. Aber zur Ehrung wurde in diesem kleinen Örtchen die Fackel für die Olympischen Spiele in Oslo (1952), Squaw Valley (1960) und Lillehammer (1994) entzündet.

Am Seljord Camping bleiben wir für die Nacht. Seljord liegt mitten in der Region Telemark. Hoffentlich holt uns nicht das Seeungeheuer, das hier im See leben soll. Sichtungen und Erzählungen gehen bis ins Jahr 1750 zurück. Und wir stehen auch noch direkt am Wasser …







Das Seeungeheuer hat uns nicht geholt, also geht es weiter, südlich entlang der Hardangervidda. Über schmale Straßen, vorbei an ersten Schneefeldern.









Mittwoch dann die Wanderung auf den Preikestolen. Ich hab’s ja nicht so mit dem „frühen Vogel“, aber hier bin ich zeitig raus, nach raschem Frühstück aufs Rad, die letzten 4 km zumeist bergauf bis zum Start der Wanderung – und los geht’s. Es ist nicht zu voll, manche Abschnitte sogar noch richtig ruhig. Nach 1,5 Stunden für 4 km über unwegsamste Pfade und rund 330 hm fällt der Blick auf den Preikestolen, den Predigtstuhl. 604 m erhebt er sich über den Lysefjord. Ein meterlanger Riss zieht sich durch den riesigen Felsen, so dass man meint, er könne jede Sekunde herabbrechen.











Oben sind sicher schon 200 Wanderer. Aber das ist nichts gegen die Menschenmengen, die mir beim Abstieg entgegenkommen! Tausende scheppen sich bei diesem perfekten Wetter den Berg rauft. Von Barfuß über Radschuhe, einfachen Sneakers bis hin zu Bergstiefeln sieht man alles an den Füßen der Wanderer.











B. hat heute übrigens gekniffen. Sie wollte es dem Hund nicht zumuten … ;-)

Beim Abstieg kommt mir eine Gruppe entgegen, deren Anblick mich schwer beeindruck: erst ein Mann, der einen leichten Rollstuhl trägt, was mich schon wundert (dort kann nirgends ein Rollstuhl fahren!). Wenige Meter dahinter eine Frau mit deformierten Beinen, die sich auf Krücken stützend über den felsigen Weg schleppt. Aber der Rollstuhl war für jemand anderes: eine junge Frau, teils gelähmt, kriecht auf Händen und Knien über die dicken Steinbrocken. Ganz ehrlich, ich bin zutiefst berührt! Wir fliegen da quasi über die Wege – und diese Menschen quälen sich über die teils schlammigen, nassen Pfade durch den Dreck den Berg hoch. Eigentlich keine Chance, es in dieser Geschwindigkeit an einem Tag zu schaffen. Aber was für ein Wille oder welche Zuversicht muss dahinter stecken, es wenigstens zu versuchen? Sie haben meinen größten Respekt!

Für uns geht die Reise weiter durch die Region Ryvylke, entlang der RV13. Zwischendurch mal mit der Fähre. Und viele Kilometer entlang verschiedener Fjorde.











Dann wieder über eine Bergkette, vorbei an Skigebieten in der Sommerpause oder schneebedeckten Gipfeln. Ein paar Stopps unterwegs, z. B. am Langfoss, dem „zweifachen Wasserfall“, oder in Odda.







Den Zündschlüssel auf Aus drehen wir in Lofthus, ein kleines Örtchen am Sørfjorden, am Nordwestrand der Hardangervidda. Hier schlagen wir das Nachtlager auf. Die ganze Gegend, die wir heute durchquert haben, ist die Hochburg für Norwegens Obstanbau. So auch rund um den Lofthus Camping. Wir stehen unter einem Kirschbaum. Umringt von Bergen, die bis zu 1200 Meter hoch sind. Schnee ist zu sehen, sogar kleine Gletscher. Und das Wetter spielt auch mit. Schön!





Die Fahrt führt uns weiter entlang des Sørfjorden und Eidfjorden. Schmale Straßen direkt am Fjordufer. So schmal, dass es auch schon mal eine halbe Stunde zum Stillstand kommen kann, wenn sich große Wohnmobile und Wohnwagengespanne aus ganz Europa, Reisebusse und LKWs begegnen.



Große Brücken werden über- und zahllose Tunnels werden durchquert, in zwei Tunnels haben wir sogar Kreisverkehre durchfahren. Immer wieder wird das Kennzeichen fotografiert, das heißt: Straßengebühr! Mal 15 Kronen, dann wieder 20. Die Rechnung kommt per Post nach Hause – das wird noch eine schöne Überraschung später.





Wir fahren bis kurz vor Bergen, wo wir uns auf dem Lone Camping in Haukeland einquartieren. Die Leute fahren irgendwie alle die gleichen Strecken. Es stehen einige hier, die vor zwei Tagen auch am Preikestolen waren. Wir treffen vier Rosenheimer, die waren am Sonntag in Oslo unsere Nachbarn.

Eben sind wir noch zum Zeitvertreib durch die beiden kleinen Supermärkte geschlendert, die neben dem Camping liegen. Manche Lebensmittel haben hier wirklich lustige Namen …





Bergen ist mit rund 265.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Norwegens, bis 1830 war es sogar die größte. Und bis zum Jahr 1300 war Bergen die Hauptstadt des norwegischen Reiches. Aufgrund der abgeschiedenen Lage ging die Vorrangstellung jedoch verloren. Im Mittelalter unterhielt die deutsche Hanse hier einen ihrer wichtigsten Stützpunkte im Ausland. Nebenbei gilt es noch zu erwähnen, dass in Bergen an 280 Tagen im Jahr rund 2.250 mm Niederschlag fallen – etwa dreimal so viel wie in Hamburg. Aber uns bleibt das Wetterglück treu. Es ist trocken und warm.

Mit Bus und Tram erreichen wir die Innenstadt am frühen Samstagvormittag, es ist noch halbwegs leer. Wir besuchen gleich Tyske Brygge, den deutschen Kai. Hier stehen noch die alten, hölzernen Hansehäuschen, für die Bergen so bekannt ist. Allerdings ist der Bezirk deutlich kleiner, als ich es erwartet habe. Nicht minder schön, keine Frage.

















Von dort schlendern wir um das Bergenhus, die alte Festung. Die Standseilbahn auf den über den 300 m hohen Fløyen, den Hausberg Bergens, lassen wir links liegen – und wandern hoch. Ein schweißtreibender Aufstieg, es ist schwül. Erst im Wald wird es angenehmer. Aber es lohnt sich. Von oben bietet sich ein toller Rundblick über das weitläufige Bergen und die vorgelagerten Fjordbereiche. Und das ganz umsonst, was hier schon fast die Ausnahme ist.



Denn unten in der Stadt wird für die „Toiletta“ natürlich ein Obulus verlangt, 10 Kronen. Zu zahlen mit der Kreditkarte, damit sich die Tür öffnet. Da kneif ich doch noch ein bisschen. Überhaupt wird hier alles per Karte bezahlt, auch die kleinsten Beträge. Letztens wurde B. schon komisch angeschaut, als sie den Campingplatz bar bezahlen wollte. „Das ist doch recht ungewöhnlich“, wurde ihr gesagt.

Nach zwei Stunden sind wir wieder unten, es ist deutlich voller geworden. Um nicht zu sagen, total voll. Zwei Kreuzfahrtschiffe liegen im Hafen, die haben ihre Passagiere für den Landgang ausgespuckt. Wir ziehen noch einmal um den Hafenbereich und durch ein paar Straßen. Kommen beim Mittagssnack mit einem deutschen Rentnerpaar ins Gespräch, deren Kreuzfahrtschiff gerade am Vormittag hier angelegt hat. Sie erzählen ein wenig von ihrer Kreuzfahrt und dem Bordleben. Schöne Reise, aber kein Leben für uns.

Noch ein paar Impressionen aus Bergen ...



Am Fischmarkt, der leider auch nicht mehr das ist, was er mal war ...





Bergenhus, die alte Festung ...



Schöne Straßenzüge abseits des Zentrums ...





Überall Trolle ...





Das schönste McDonald's, das wir bisher gesehen haben ...



Nochmal Tyske Brygge ...





Immer und immer wieder werden wir von allen möglichen Menschen wegen Walli angesprochen, jeder will sie streicheln oder wissen, was für eine Rasse sie ist. Sind dann immer alle erstaunt, dass sie als Straßenfund aus Griechenland kommt. Und bei den Leuten kann sie ja so lieb sein! Naja, wir kennen sie auch anders ... und die Mitfahrer im Bus heute Morgen lernen sie auch anders kennen: sie jaut echt den Bus zusammen. Hat sie noch nie gemacht beim Busfahren. Irgendwas passt ihr da heute nicht. Man, ist uns das peinlich! Entschuldigen uns auch beim Aussteigen beim Busfahrer, aber er grinst zum Glück nur.



Später treiben uns Hunger und Müdigkeit zurück „nach Hause“, zum Campingbus. Grillen lecker und genießen einen ruhigen Abend. Eben treffen wir noch nette Camping-Kollegen, die vorgestern in Lofthus unsere Nachbarn waren, sie waren schon vor über 20 Jahren hier oben. Und hatten Bergen und auch vieles anderes ruhiger und weniger voll in Erinnerung.

Aber es ist halt Hauptreisezeit. Aus ganz Europa, ja der ganzen Welt sind hier die Touristen unterwegs. Und wir bewegen uns ja auch auf touristischen Pfaden, also muss man es akzeptieren – oder andere Wege finden. Im Bus kamen wir heute mit einem Schweizer ins Gespräch: er ist mit Familie vor ein paar Tagen auf die Trolltunga gewandert, ein abgelegenes Ziel, das nur mit einer mehrstündigen Wanderung erreichbar ist. Auf dieser „Trollzunge“, die über einen Abgrund ragt, will sich jeder fotografieren lassen. Sie haben 45 Minuten gewartet, bis sie auf die Trolltunga konnten.

Wir freuen uns schon drauf, wenn wir weiter nördlich sein werden. Dort wird es bestimmt weniger voll sein und wir werden auch noch ruhigere Örtchen finden.




Gesamtfahrstrecke bisher 2.680 km.